Ein Feature im Deutschlandradio berichtete über die alte Tradition der Walz. Das erregte unsere Aufmerksamkeit.

Nein, wir sind keine Handwerker, erfüllen auch nicht Voraussetzungen, um auf die Walz zu gehen (so sind wir definitiv verheiratet) und dennoch hat uns der Einblick in diese alte Handwerkertradition fasziniert, ja, sogar inspiriert. Nach erfolgreichem Abschluss der Handwerksausbildung (also dem Erhalt des Gesellenbriefes), ging es früher regelmäßig, aber auch heute noch optional für (mindestens) drei Jahre und einen Tag auf die Walz - die Gesellenwanderschaft. Das ist mehr als ein Praktikum oder neudeutsch "Internship", mehr als eine Weiterbildung (wenngleich der Abschluss der Walz früher eine Voraussetzung für den Meisterbrief war). Es ist eine Lebensphase, eine Übergangszeit, ein Reifeprozess, fromm formuliert so etwas wie eine dreijährige Pilgerreise.

Sinn und Zweck der Walz sind heute wohl vor allem das Sammeln von Erfahrungen und Fertigkeiten, die man in einer typischen Ausbildung nicht mehr lernt, weil sie aus der Zeit gefallen sind oder keine ökonomische Relevanz haben. Natürlich soll auch Weltoffenheit gelebt werden, die dann im späteren Berufsleben hilft, reflektiert und differenziert über jene Dinge nachzudenken, die eben doch komplexer sind, als es althergebrachte Überzeugungen vermuten lassen. Für viele wird die Walz zu einer Art Selbstfindungsprozess.

Warum aber gibt es über dieses Phänomen Walz einen Beitrag in der Gebetsoase?

Wir haben in der Radiosendung einiges gelernt, das uns überrascht ... und irgendwie an Aussagen aus dem Neuen Testament erinnert hat. Ein paar Beispiele:

  1. Es gibt sehr klare, strenge Regeln für die Walz. Die Begründung dafür ist nachdenkenswert. Natürlich um alter Tradition willen, aber eben nicht Tradition als Selbstzweck! Vielmehr dienen die Regeln dazu, die Freiheit zu wahren. Freiheit ist das Merkmal der Walz. Weder durch Besitz, noch durch Elternhaus oder Ehepartner gebunden zu sein - darum geht es.
    "Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!" (Galater 5,1) Und wie diese Freiheit ganz konkret Gestalt gewinnen kann, wird an vielen Bibeltexten deutlich (bei Paulus bis hin zur Empfehlung der Ehelosigkeit).
  2. Nur das Allernotwendigste wird mitgenommen und in ein Bündel geschnürt. Kein Rucksack oder ähnliches Behältnis, sondern eine einfache Stoffplane (die Begründung dafür findet sich in der oben verlinkten Radiosendung). Das ist Minimalismus pur, lange bevor dieser Begriff zu einem teuren Markenzeichen einer des Überflusses überdrüssigen Kultur wurde. Oh Schreck, oh Graus - ein Handy ist absolutes Tabu! 
    "Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Tasche für den Weg, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert. Wenn ihr aber in eine Stadt oder ein Dorf geht, da erkundigt euch, ob jemand darin ist, der es wert ist; bei dem bleibt, bis ihr weiterzieht." (Matthäus 10, 9-11)
  3. Die Walz beinhaltet Abschied von Eltern, Verwandtschaft, Freunden. Mindestens 50 km müssen zwischen den neuen Aufenthaltsorten und dem Elternhaus liegen. Selbständigkeit, Eigenverantwortung, Unabhängigkeit können sich so entfalten. 
    "Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert" (Matthäus 10,37) - dieser scheinbar harte Satz, den Jesus formuliert, bekommt einen ganz neuen Sinn, wenn er unter dem Blickwinkel der Loslösung vom Elternhaus verstanden wird, die für einen jungen Erwachsenen von großer Bedeutung ist. 

Es gibt noch viele Anknüpfungspunkte. Der Wanderstab, beispielsweise, weckt bei Bibelkennern vielfältige Assoziationen. Er wurde übrigens aus "unbrauchbarem" Holz gefertigt, denn Bauholz war viel zu wertvoll. Aber gerade dadurch wurde der Wanderstab individuell und einzigartig - und wertgeschätzt. Bei mir klingelt da etwas... Und die Wandergesellen sind alle "behütet". Der Hut ist Bestandteil jeder Handwerkszunft. Er war nicht nur Sonnenschutz, sondern vor allem Kennzeichen der Freiheit. Nur Freie und Adelige durften "Hut" tragen. Die Handwerksgesellen brachten damit zum Ausdruck: "Seht her, auch wir sind frei." Behütet sein ... ein schönes Wort. (Und so, wie die Walz ein deutsches Kulturerbe ist, so schwer ist es auch, den sprachlichen Zusammenhang zwischen "behütet sein" und "Hut" in andere Sprachen zu übertragen). Vielleicht passt ja dieser Bibeltext: "Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: / Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe." (Ps. 91, 1-2)

Wie auch immer - die Walz ist faszinierend. Ein letzter Gedanke: die Walz beginnt immer zu zweit. Eine Art Mentor begleitet den Handwerksgesellen am Anfang seiner Reise - ein anderer Wandergeselle, der schon etwas mehr Erfahrung hat. Dieser führt den Neuling in manche Traditionen ein, zeigt "wie es geht", teilt seine Erfahrungen - bis der Wandergeselle allein weiter tippeln kann (ja, Tippelbrüder waren ursprünglich nicht Obdachlose, sondern Gesellen auf Wanderschaft). Hast du Einfälle und Gedanken dazu?

Wir jedenfalls nehmen uns vor, mit der Gebetsoase einen Ort für die ganz persönliche Pilgerreise zu sein, ein Zwischenstopp, gern auch begleitet, auf dem Weg in die Freiheit des Evangeliums. 

 

 

 

Foto: Ralph Hirschberger (creative commons)